Ein weltumspannender Geniestreich
Céline Rudolph verspottet den Jazz, um ihn gleich wieder zu umarmen
Woher die Schönheit wohl stammen mag? Sieht nach Rio aus oder der brasilianischen Küste, vielleicht wäre Portugal noch möglich, vielleicht auch Spaniens wilder Norden. Aber Berlin? Ihr akzentfreies Deutsch indes spricht für die Richtigkeit des Eintrags in Céline Rudolphs Biografie. Ihr Gesang hingegen scheint von sehr weit her zu kommen, manchmal nicht einmal von diesem Planeten.
Gleich als zweiten Song intoniert sie in der Fabrik George Harrisons “Here Comes The Sun” als lethargisch vor sich hin schleichende Ballade, fortan wird sie englisch, französisch, portugiesisch und noch dazu in einer westafrikanisch anmutenden Fantasiesprache singen, das multilinguale Spiel soll keine Bewunderung erzeugen, es dient vielmehr changierenden Atmosphären. Im Französischen inszeniert Céline Rudolph Lieder, die wie vertonte Frühlingswiesen-Sequenzen aus alten Eric-Rohmer-Filmen erstrahlen, im Englischen duften ihre Songs nach Bedeutsamkeit, auf portugiesisch strömen brasilianische Lebenslust und Lissabons Fado im selben Bachbett nebeneinander her.
Ihre Band stammt zwar hörbar, aber nicht determinierend aus Brasilien. Der famose Akkordeonist Toninho Ferragutti lässt sein Instrument durch verwehte Melodiebögen klagen und funktioniert es im nächsten Moment zum Rhythmusgeber um, der akustische Bass von Rodolfo Stroeter pluggert gänzlich unprätentiös vor sich hin, Célines luftiger Tanz entbehrt aller Manierismen, in ihrer Stimmführung ist sie so sicher wie eine Lok im Gleise. Sie scattet, sie spottet über den Jazz und umarmt ihn dann mit fast frivoler Herzlichkeit.
Mal gibt sie das schnurrige Kaminkätzchen, mal die stolze Leopardin. Noch dazu ist Céline Rudolph mit einem ungemein feinen Gespür für hoch spannende Dramaturgien gesegnet, ihr Adagio nach dem Allegretto jedenfalls ist ein rauschhafter Sturz ins Bodenlose. Rudolph bespoilert Lennon/McCartneys “Norwegian Wood” mit indischen Fragmenten und lässt ihn dann wie ein Kleinod aus einer Nürnberger Spielwaren-Schatulle anno 1840 klingen. Dem folgen herrliche Momente, in denen all die Instrumente ins Flüstern geraten und sich Célines Stimme aus dem virtuosen Gewisper wie die Morgensonne über dem nur leicht gekräuselten Meer erhebt.
Gitarrist Diego Figueiredo erinnert an den Mali-Blues, das Akkordeon stammt momentan aus der Bretagne. Und zum guten Schluss singt Céline Rudolph auch noch ein paar Zeilen aus “Komm lieber Mai und mache”. Welch ein weltumspannender Geniestreich, dieser Berliner Abend in der Fabrik!
DIE WELT Von Stefan Krulle 29. Mai 2009
Here Comes The Sun | George Harrison | 4:26 |
Metamorflores ( Coquelicots on The Rocks) | Céline Rudolph | 4:01 |
Eu Vim da Bahia | Gilberto Gil | 3:51 |
À la Recherche d’une Métaphore | Céline Rudolph | 3:51 |
Laraialará | Céline Rudolph | 6:08 |
Norwegian Wood | John Lennon / Paul Mc Cartney | 3:14 |
Ragga Heliotropical | Céline Rudolph / Naná Vasconcelos / Rodolfo Stroeter | 3:38 |
Samba em Préludio | Baden Powell / Vinicius de Moraes | 6:33 |
Din Don | Rodolfo Stroeter | 4:45 |
Matakotó (Iemanjá Chant) | Céline Rudolph | 5:04 |
A Medida da Paixão | Lenine / Dudu Falcão | 4:20 |
Céline Rudolph・voice
Toninho Ferragutti・accordion
Diego Figueiredo・acoustic guitar
Rodolfo Stroeter・acoustic bass
Ricardo Mosca ・drums
Naná Vasconcelos・percussion (1,2,3,5,7,9)
Till Brönner・flugelhorn (4)
Marlui Miranda・voice (10)
Paulo Bellinati ・acoustic guitar (1,3,9,11)
Webster Santos・acoustic guitar (1,3,9)
Rüdiger Krause・guitars (1,7)
Teco Cardoso・flutes (5,10)
Tiago Costa (arranger) and the São Paulo String Orchestra (4,6,8)
Produced by Rodolpho Stroeter & Céline Rudolph
Recorded at Mosh Studios, São Paulo by Alberto Ranellucci and A-Trane Studio, Berlin by Holger Schwark
Mixed at Rainbow Studio, Oslo by Jan Erik Kongshaug
Mastered at Eastside Mastering Studios, Berlin by Götz-Michael Rieth
Cover photos by Ann Weitz
Additional photos by Ralf Rudolph and Daniel Cordes
Artwork by Joerg Grosse Geldermann / NEXT
Released 2009 by Enja records